In der Schweizer Spitalwelt kennen wir dieses Spiel ebenso. Es wurde auf den 1. Januar 2012 mit dem revidierten Krankenversicherungsgesetz eingeführt und wird mit den Fallpauschalen – zumindest im theoretischen Setting – dazu führen, dass am Ende in der gesamten Schweiz nur noch wenige Spitäler übrig bleiben.
Den Spitälern werden natürlich keine Stühle weggenommen, sondern Geld. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Jahr für Jahr werden die Tarife gekürzt, das Leistungsspektrum eingeschränkt und neue Aufgaben ohne Entschädigung aufgebürdet. So wurden im Jahr 2016 und 2018 die ambulanten Tarife durch den Bundesrat deutlich gekürzt. Im Jahr 2019 hat der Bund eine Liste von operativen Eingriffen herausgegeben, welche nur noch ambulant durchgeführt werden dürfen, ohne Anpassungen für eine gerechte Kostenvergütung. Und in anderen Jahren wurden die Anforderungen an die Strukturqualität deutlich angehoben, was regelmässig hohe Kostenfolgen mit sich bringt. Ab dem Jahr 2023 dürfen wir im Kantonsspital Uri (KSU) gewisse Eingriffe nicht mehr durchführen, auch wurde die Entschädigung für Laboruntersuchungen gekürzt. Die Teuerung will niemand ausgleichen, und die Folgen der Pflegeinitiative und des Fachkräftemangels werden den Spitälern überlassen. Und und und.
Seit der Volksabstimmung im Jahr 2017 zum Neubau des KSU gingen dem KSU so pro Jahr mehr als 3.5 Mio. Franken an Einnahmen verloren, meistens über Tarifkürzungen und durch neue Auflagen. Dies entspricht nach einer vereinfachten Berechnungsformel gut 35 Vollzeitstellen, welche während derselben Zeit über Optimierungsmassnahmen hätten wettgemacht werden müssen.
Der Hauptspielleiter ist der Bundesrat. Aber es gibt noch Assistenten wie die Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren, die Krankenversicherungen oder die medizinischen Fachgesellschaften. Und warum nun das ungute Gefühl? Weil der Bundesrat keine Gelegenheit auslässt, um den Hinweis anzubringen, dass es in der Schweiz zu viele Spitäler gibt. Weil in der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren die grossen Kantone dominieren. Weil die Krankenversicherungen seit Jahren ohne Beweise behaupten, dass die Spitäler ineffizient und qualitativ nicht ausreichend arbeiten. Weil den Fachgesellschaften oft eine Gesamtschau fehlt. Und weil kaum jemand Rücksicht auf die Spitäler in der Region nimmt, obwohl diese für die Versorgung der Bevölkerung unerlässlich sind, wie die Covid-Pandemie gezeigt hat.
«Und weil kaum jemand Rücksicht auf die Spitäler in der Region nimmt, obwohl diese für die Versorgung der Bevölkerung unerlässlich sind, wie die Covid-Pandemie gezeigt hat.»
Die Reise nach Jerusalem hat in der Spitalwelt eine erschwerende Regelung. Diese Regelung heisst Benchmarkingverfahren. Zu diesem Zweck wird heute ein einfacher Kostenvergleich verwendet, in welchem die durchschnittlichen Fallkosten der Spitäler ihrer Grösse nach aufgelistet werden. Anschliessend wird ein bestimmter Prozentsatz (Perzentil) der Verteilung gewählt, welcher ein effizient arbeitendes Spital identifizieren soll. Der damit bestimmte Preis entspricht der Entschädigung für einen Fall. Spitäler, welche eine ungünstige Kostenstruktur haben, verzeichnen automatisch Defizite. Und Spitäler, welche eine günstige Kostenstruktur haben, verzeichnen Gewinne.
Ganz so schlimm scheint diese Übungsanlage auf den ersten Blick nicht zu sein. Wer vertritt nicht die Auffassung, dass Spitäler effizient zu arbeiten haben? Das Ganze hat aber einige Haken. In diesem Benchmarkingverfahren werden beispielsweise alle Spitäler in einen Topf geworfen: kleine und grosse, solche in den Städten und solche in der Region, solche mit einer Notfallstation und solche ohne Notfallstation, solche mit einem 24-Stunden-Betrieb und solche, die während den Nachtzeiten oder an den Wochenenden und Feiertagen ihre Türen schliessen. So werden Geburtshäuser mit Universitätsspitälern verglichen oder Spitäler in der Region mit Spezialkliniken mit beschränktem Leistungsangebot. Das noch viel grössere Problem ist, dass das preisbildende Perzentil viel zu tief angesetzt wird. Gemäss den meisten Behörden und Krankenversicherern soll das 25. Perzentil massgebend sein. Mit anderen Worten machen dann 75 % aller Spitäler regelmässig Verluste und können somit mittelfristig ohne Unterstützung der öffentlichen Hand nicht überleben. Und dies ist völlig entgegen der Absicht des revidierten Krankenversicherungsgesetzes.
«Die Musik stoppt aus Sicht des KSU meistens am falschen Ort, unser Weg zum rettenden Stuhl ist besonders lang.»
Wir vom Kantonsspital Uri sind mittendrin. Die Musik stoppt aus Sicht des KSU meistens am falschen Ort, unser Weg zum rettenden Stuhl ist besonders lang. Mit 37’000 Einwohnern und Einwohnerinnen sind wir auf die Unterstützung der öffentlichen Hand angewiesen, und wir haben bei der interkantonalen Spitalplanung kein grosses Gewicht. Trotzdem lohnt es sich, für unsere Anliegen einzustehen und zu kämpfen. Wenn alle für die Gesundheitsversorgung des Kantons Uri zuständigen Institutionen unabhängig ihrer politischen Interessen dasselbe Ziel verfolgen, nämlich ein attraktives Spital für die spitalbasierte Grundversorgung, dann werden wir uns noch lange gegen die Spielleiter und ihre Assistenten aus Bundesbern oder den Hauptsitzen der Krankenversicherungen erfolgreich wehren können. Dies zum Wohle und im Sinne der Urner Bevölkerung. Die Unterstützung seitens der Urner Behörden ist diesbezüglich bereits sehr gut, was für eine erfolgreiche Zukunft eine der wichtigsten Voraussetzungen ist.
PLEGEINITIATIVE, GESAMTARBEITSVERTRAG UND TEUERUNG
Das Schweizer Volk hat am 28. November 2021 die Initiative «Für eine starke Pflege» wuchtig angenommen und den Gesetzgeber beauftragt, eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Pflegenden in Alterszentren, Spitälern sowie der Spitex verbindlich zu regeln. Am 8. Februar 2023 hat der Urner Landrat festgehalten, dass der Spitalrat die Anstellungs- und Arbeitsbedingungen des Personals in einem Gesamtarbeitsvertrag zu regeln hat, welcher mit den Arbeitnehmerverbänden abzuschliessen ist.
Mit der Umsetzung dieser per Gesetz vorgegebenen Aufgaben haben wir längst begonnen. Einzelne Massnahmen wurden bereits umgesetzt, andere sind konzipiert. Unklar ist, inwieweit die Arbeitsbedingungen insgesamt verbessert werden sollen und wer für die zusätzlichen Kosten aufzukommen hat. Mit Blick auf den oben stehenden Text «Reise nach Jerusalem» ist davon auszugehen, dass das KSU die Mehrkosten nicht alleine tragen kann. Bereits die im Jahr 2022 beschlossenen Massnahmen zugunsten des Personals sind durch Optimierungen (welche zumindest teilweise wieder das Personal betreffen) nur schwer zu kompensieren. Die Teuerung und der Fachkräftemangel verschärfen die aktuelle Situation massiv. So macht die Teuerung von 3.0 % bei unserem Aufwand rund CHF 2.2 Mio. aus, und das bei gleichbleibenden beziehungsweise sinkenden Tarifen.
Wenn in den nationalen Medien steht, dass sich die Spitäler in der Krise befinden, so trifft das leider zu. Das KSU kann sich den Rahmenbedingungen nicht entziehen. Gefordert ist aufgrund des hohen Defizits mehr als je zuvor die Spitalführung, welche mit weitsichtigen Massnahmen die Ziele des Entwicklungs- und Finanzplans sicherzustellen hat.